Gesundheitsförderung als interdisziplinärer Ansatz

Alex Trojovsky

Gesundheit ist eine oft mißbrauchte Worthülse. Viele reden von Gesundheitsförderung, kaum wer sagt, was er oder sie damit meint.

Der Begriff Gesundheit ist als Gegenpol zu Krankheit gebräuchlich, zahlreiche, sicherlich hunderte, Definitionen sind möglich. Das Begriffsspektrum reicht von Idealvorstellungen bishin zu Minimalvarianten, in denen die Arbeits- und Leistungsfähigkeit ausreicht.
Als gemeinsamer Nenner und Zieldefinition gilt oft der berüchtigte Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation, den Zustand des totalen, umfassenden Wohlbefindens als Ideal darstellend. (Gesundheit ist der Zustand des völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens)
Wieviele Sekunden meines Lebens war ich dementsprechend gesund?
Unmöglich zu erreichen?
Ein Freund von mir verbrachte die Feier seines vierzigsten Geburtstages mit beinahe 100 engeren oder loseren Freundinnen und Freunden. Total betrunken, ein Bad in der Menschenmenge nehmend, ging er von Einer zum Nächsten, fiel allen um den Hals, und rief pausenlos: "Wie schön ist es, solche Freunde zu haben!". Stundenlang war er so in körperlichem, seelischem und sozialen Wohlbefinden zu beobachten.

Gesundheitsförderung ist ein international anerkanntes Schlagwort, von der WHO propagiert, alle Staaten stimmen zu, diffus genug, um nichts tun zu müssen. Gesundheitsförderung meint unterschiedliches, je nach dem zugrundeliegenden Begriff von Gesundheit, und hat dabei die Erreichung, oder Erhaltung derselben zum Ziel. Prävention hat, der Wortbedeutung nach, einen anderen Fokus: nämlich die Krankheit, die es zu verhindern gilt. Primär heißt in diesem Fall, daß an der Basis, den Grundlagen angesetzt wird, und nicht erst nach dem Auftreten von Risikofaktoren oder Frühsymptomen. Wenn jemand verkühlt ist, kalte Füße hat, und sich Socken anzieht, damit der Zustand nicht noch schlimmer wird, ist dies tertiäre Prävention. Sekundäre Prävention ist, einem Kind mit kalten Füßen, das zu Verkühlung neigt, Socken anzuziehen, noch bevor es krank ist. Warme Socken anzuziehen, solange die Füße warm sind, ist eine Maßnahme primärer Prävention. Ebenso ist mit warmen Füßen nach Anleitung von Pfarrer Kneipp bloßfüssig durch eiskaltes Wasser zu gehen eine Maßnahme primärer Prävention. Also heften sich sowohl Sockenverkäufer, als auch Barfußprediger den Titel Gesundheitsförderer an ihre Fahnen, und wer kann einem von Ihnen widersprechen?

Primäre Prävention umfaßt sowohl kollektive als auch individuelle Faktoren (Umwelt/Lifestyle), spezifische als auch unspezifische Aspekte, Dispositionsprophylaxe und Expositionsprophylaxe, dazu gehört so unterschiedliches wie Gesundheitsbildung, Verbesserung der Umweltbedingungen, Impfungen, Unfallverhütung, Hygienemaßnahmen, Ernährung, oder Bewegung, Erhöhung der Resistenz des Individuums und Reduktion des persönlichen Risikos.

In den sekundären Bereich (Krankheits- und Risikofaktorenfrüherkennung und -behebung) fallen demgegenüber präventive Untersuchungen wie im Rahmen des Mutter-Kind-Passes, Gesundenuntersuchung, oder Beratung für rauchende Menschen, in den tertiären Kuren nach Krankheit, oder Selbsthilfegruppen.

Wie lassen sich nun Diskussionen anheizen und ergebnislos im Streit beenden? Am besten geht dies, wenn unterschiedliche Begriffe, nicht definiert, häufig wechselnd verwendet werden. Unter denen, die in der Gesundheitsförderung oder in anderen Teilen des "Gesundheitswesens" tätig sind, gibt es wechselseitig zahlreiche Vorwürfe: die einen arbeiten zuwenig primär, andere zuwenig umfassend, politisch, oder konkret. Die Ergebnisse seien nicht beweisbar, nicht meßbar, oder bloß ideologisch. Ist Evaluation möglich, wie sind die Erfolgskriterien für Gesundheitsförderungsmaßnahmen? Finanzielle Einsparungen in der Krankenversorgung, höhere Zufriedenheitswerte in standardisierten Fragebögen, höhere Durchschnittstemperaturen von Füssen, oder mehr glückliche Betrunkene? Gesundheitsförderung hat in unserem Gesundheitswesen einen marginalen Stellenwert. Fritz Egger sagt im Salzburger Affront-theater im Kabarettprogramm "Ohnmacht braucht Kontrolle": "Krankheit ist der Weg zum Geld des Patienten". Was ist dann Gesundheit, wie läßt sich daran verdienen, und gibt es einen Zusammenhang zwischen vernachlässigten Aspekten der Gesundheitsförderung und Geld? Die Konkurrenz derer, die sich in Gesundheitsförderungsprojekten profilieren, führt, vielleicht auch angesichts der begrenzten finanziellen Mittel, zu einem Kampf ums Terrain, oder zu einem "Schulenstreit". Alle meinen (und das ist für die eigene Psychohygiene gesund), daß ihr Ansatz der wichtigste ist, weil von ihrem Startpunkt alles abgedeckt wird. Das kann für Familienförderung, die ja die "Keimzelle des Lebens" mitgestaltet ebenso gelten wie für Geburtsvorbereitung ("Wie Menschen geboren werden, so leben sie"), für Sexualpädagogik (Menschen erleben sich über Beziehungen), Suchtprävention, die in ihrem umfassenden Ansatz natürlich in alle Lebensbereiche reicht, schulische Gesundheitserziehung oder -bildung (wer könnte ihr entgehen?) oder gemeindenahe Ansätze, die von der aktuellen, realen Lebenssituation der einzelnen Menschen ausgeht.

Gesundheitsförderung lebt aus dieser Vielfalt, sie ist, wie Gerald Koller definiert, ein Strategienbündel. Keine einzelne Maßnahme allein kann daher ihrem umfassenden Ansatz gerecht werden. Weder planende, visionäre politische Entscheidungen, noch engagierte Basisarbeit reicht aus. Die Ganzheit entsteht aus der Vielfalt, der Kooperation. Die finanziellen und ideellen Mittel sind in der Praxis sehr ungleich verteilt. Den Hauptanteil des "Gesundheitsbudgets" erhält die Medizin (entsprechend dem Begriff: "Gesundheit entsteht durch Bekämpfung von Krankheit und ist die Abwesenheit von Leistungsbeeinträchtigung oder Schmerz"). Bestehende Zugänge zum Thema Gesundheitsförderung und Prophylaxe existieren von dieser Seite in geringerem Maß, (v.a. im sekundären Bereich) mit dem Ziel der Verhinderung von frühzeitigem Tod, Behinderung oder arbeitsleistungsreduzierenden Krankheiten.

Der Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation besagt hingegen, daß das Ziel die Verbesserung der Lebensqualität ist. Gesundheitsförderung, so verstanden, ist ein interdisziplinärer Ansatz. Auffallend ist besonders, daß die meisten Strategien der WHO zur Gesundheitsförderung (etwa nach der "Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung", 1986) außerhalb des Gesundheitssektors liegen. Fortschritte sind möglich, wenn sich die unterschiedlichsten beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Sektoren als gleichberechtigte Partnerinnen und Partner begegnen können, wenn andere Berufsgruppen als gleichwertig, und nicht unterlegen angesehen werden.

Die Strategien wurden von offizieller Seite gutgeheißen, zwischen den (oft recht konkreten) Plänen der Einzelziele des WHO-Programmes "Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000" und der Umsetzung klaffen jedoch Welten. Unterentwickelt sind die Mittel und Aktivitäten für viele Sektoren der primären Prävention. Dazu gehören etwa konkrete Maßnahmen wie Geburtsvorbereitung, Suchtprävention, und die meisten anderen bei der Enquete zur Sprache gekommener Themenbereiche, aber auch der Abbau von Unterschieden zwischen Bevölkerungsgruppen, das Wohn- und Siedlungswesen, Organisationsformen, Vernetzungsstrukturen und Forschungsschwerpunkte.

Maßnahmen scheitern nicht (nur) am Geld, sondern an anderen Ausdrucksformen mangelnder gesellschaftlicher und politischer Wertigkeit. Viele Aspekte kollektiver Gesundheitsförderung sind Ausdruck politischer Willensbildung. Im Sinne der WHO bedeutet dies auch Demokratisierung. Saubere Luft, zu mindest den Normen entsprechendes Trinkwasser, gesundheitsverträgliche Nahrungsmittel, oder lärmarme Wohngegenden sind immer noch nicht selbverständlich. Vorrang für Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist in Zeiten liberalisierter Wirtschaftsbedingungen nicht aktuell. Gesundheit an Schulen ist kein Schwerpunkt im Koalitionsabkommen.

Gesundheit, so als interdisiplinärer, dynamischer Begriff verstanden, ist eine Zielvorstellung für eine Welt, in der, frei nach Jean Carpentier, die Menschen nicht mehr der Krankheit ausgesetzt sind.

                        Dieser Artikel entstand anläßlich einer
                        Enquette 1994

 

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